Italiens Regierung
soll zum Handeln gezwungen werden
Alitalia hat für heute 230 Flüge gestrichen, Busse und Züge werden am Morgen stillstehen und in manchen Gegenden wird die Post geschlossen bleiben. Die drei großen italienischen Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen - zum sechsten Mal seit dem Amtsantritt von Silvio Berlusconi.
Dabei richtet sich der Protest allerdings nicht grundsätzlich gegen die geplanten Einsparungen und Kürzungen von rund 12 Mrd. Euro im Haushaltsgesetz für das kommende Jahr. Bei einem Defizit von über vier Prozent in diesem Jahr und einer noch schlechteren Prognose für die kommenden Jahre wissen auch CIGL, CISL und UIL, daß der Staat sparen muß.
Vielmehr fordern die Arbeitnehmerorganisationen in ungewohnter Einheit mit Vertretern der Industrie eine echte Wirtschaftpolitik, um das in diesem Jahr stagnierende Wirtschaftswachstum anzukurbeln. "Mit diesem Haushaltsgesetz wird das Land verarmen", so die Prognose der Gewerkschaften. "Italien hat keinen Sauerstoff mehr, die Familien geben nur für das Wesentliche Geld aus", schlägt Confcommercio-Chef Sergio Billè in die gleiche Kerbe.
Unerwartete Schützenhilfe bekommen die Streikenden dabei von einer gestern in Mailand vorgestellten Studie des Wirtschaftsmagazins "The Economist". In seiner Analyse mit dem Titel "Addio, dolce vita" zeichnet Autor John Peet ein düsteres Bild eines oberflächlich immer noch faszinierenden Landes. "In Italien kann man immer noch besser leben als irgendwo anders", heiß es in dem 14seitigen Bericht, die Bevölkerung leide aber zunehmend unter den gravierenden strukturellen Problemen des Landes.
"Die ersten Anzeichen eines langen und langsamem Verfalls machen sich bemerkbar", schreibt Peet. Der Lebensstandard ist gesunken, so berichten Supermärkte, jeweils in der letzten Woche des Monats einen Umsatzeinbruch. Die nur geringfügig gestiegenen Monatseinkommen der Familien können mit den Preissteigerungen durch die Einführung des Euro nicht mithalten. Investitionen werden aufgeschoben, was nicht nur für Autos gilt, sondern auch für die den Italienern wichtige Textilindustrie. Noch fängt die Familie viel auf. "Aber die Tatsache, daß vierzig Prozent der Italiener zwischen 30 und 34 Jahren noch bei ihren Eltern leben, ist kein glückliches Zeichen", so Peel. Der Mietmarkt ist ohnehin begrenzt und die Kosten für den Kauf einer Wohnung sind für Erstkäufer, die oft bis zum 40. Lebensjahr mit vorläufigen Arbeitsverträgen angestellt sind, in unerschwingliche Höhen gestiegen.
Die angespannte Finanzlage bringt das das soziale Gefüge in Gefahr: Im Süden des Landes nimmt das organisierte Verbrechen zu und die Korruption steigt. Steuerhinterziehung und illegaler Wohnungsbau sind an der Tagesordnung - nicht zuletzt auch durch die Amnestien für Steuerflüchtige und Bau-Sünder, mit denen die Regierung Berlusconi versucht hat Finanzlöcher zu stopfen.
Der heutige Streik wird auch als Erfolg für die Links-Union von Romano Prodi gewertet werden, die im kommenden April die Regierung Berlusconi ablösen will. Doch selbst bei einem Regierungswechsel bleiben nach Ansicht des "Econmist" die Aussichten düster. Keine der zwei großen Gruppierungen ließe im Moment darauf hoffen, daß sie die nötigen großen und schmerzhaften Reformen durchsetzen kann.
Quelle: Die Welt