Original von starchaser078
Eigentlich wollte ich in eine andere Kerbe reinhauen. Positiv angestachelt durch reisi's (22) Namensänderung und dem beiläufigen Kommentar "Früherwarallesbesser" im Alan Fitzpatrick Thread. Ich habe mich jedoch um entschieden. Dabei liegen die Themenfelder nahe beieinander. Weiterhin passen gewisse Aussagen zu der zurückliegenden Mayday. Doch dazu später. Denn wie fängt alles an? Genau.
Ich sitze wieder einmal im Zug, wieder einmal auf dem Weg zur Mayday und wieder einmal Adam Beyer hörend. Gleich der erste Track packt mich. Es ist Yooj mit "Seeing Things" auf Monique. Wieder einmal mache ich mir so meine Gedanken. Was wird auf mich zukommen? Wer wird das Set des Abends abliefern? Wird es wenigstens lustig? Ausgelassen? Wie lange werde ich durchhalten? Schließlich bin ich 33 und keine 22 mehr, so wie reisi. Ich denke bereits jetzt schon an den Muskelkater und die Müdigkeit danach. Was ich als gutes Zeichen deute und ich wohl doch zum Tanzen kommen werde. Bei all den "Alterserscheinungen" muss ich unweigerlich an reisi (22) denken . Wenn ihm schon die Jahreszahl hinter seinem Namen schlaflose Nächte bereitet, was ist denn dann mit mir (33)? Bin ich schon klinisch tot? Atemkontrolle? O.K.. Pulskontrolle? O.K.. Bei Bewusstsein? Ja. Gott sei Dank. Ich amüsiere mich auch über die Äußerung bzgl. des "Früherwarallesbesser". Kurz zurückgerechnet. Als ich im Jahre 1991 anfing, mich bewusst für elektronische Musik zu interessieren, war ich 13. Aufgrund der gelöschten Jahreszahl 1990 müsste reisi (22) demzufolge 1 bzw. 2 Jahre alt gewesen sein. Interessant. Ist das vielleicht schon mal ein Ansatz? Ist man tatsächlich so jung, wie man sich fühlt? Demnach müsste reisi (22) anscheinend gefühlt über 30 liegen. Was bin ich dann? Ich nehme mir wieder einmal die lange Bahnfahrt zur Mayday auf mich und freue mich. Bin ich aufgrund dessen gefühlt ein Twen? Meinem mittlerweile gestiegenen Blutdruck zu folge müsste ich im Moment Rentner mit Schlapphut und Gehstock sein, da sich die Anzeigetafel auf meinem Zwischenstopp zwischen Verspätungen von 30min über 15min zu unbekannt abwechseln. Es passiert, was passieren musste. Damn. Die nette Dame von der Deutschen Bahn kündigt meinen Zug auf Gleis 5 an. Man gut, dass ich mit Kopfhörern auf den Ohren auf Gleis 3 stehe. Blöd, sehr blöd. Ich dachte immer, dass man Aufmerksamkeitsdefizite immer jüngeren Mitmenschen attestiert, einhergehend mit ADS und ADSH. Ich scheine also nicht nur gefühlt jünger zu sein, sondern auch von meinem Verhalten nach zu urteilen. Ich sehe es auch in meinem Umfeld. Immer mehr Freunde und Bekannte heiraten und bekommen Kinder. Zugegebenermaßen, ich wünsche es mir auch, nur, es hat halt noch nicht sein sollen. Interessant sind immer die Blicke, wenn ich erkläre, was ich für Musik höre und es gleichzeitig mein Hobby ist. Erst kommt die Frage:"Bist du nicht zu alt dafür?" Wenn ich mich dann erkläre, heißt es im zweiten Satz dann schon meistens:"Ah cool." Und dann passiert immer etwas ganz wundervolles. Man sieht im geistigen Auge des Gegenübers sein Leben vorbeiziehen und hört einen leichten Seufzer. Freiheit ist für mich existenziell. Einen schönen Gruß an unseren Bundespräsidenten. Dies passiert der Fraktion 25 Minus wohl eher weniger. Zumindest war es bei mir so. Nun denn. Hoffentlich bekomme ich meinen Anschlusszug noch. Habe ich. So bekomme ich doch noch etwas von unserem Altmeister, unserem "Baba" (47) mit. Als ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass unsere Szene nach wie vor von alten Hasen bestimmt wird. Wie ich darauf komme, ist es denn nicht offensichtlich? Dies trifft meiner Meinung nach besonders auf die Techno-Szene zu. Während man im Trance/Dance-Sektor getreu dem Motto folgt:"Wer will noch mal, wer hat noch nicht?" Nachdem die Zugfahrt einfach nicht enden will, mache ich mir Gedanken über die DJs, die ich sehen und hören möchte. Sven (47) und Carl (49) sind bei mir gesetzt. Bei Paule (40) bin ich mir noch nicht so sicher. Ich werde mich wohl spontan entscheiden. Schließlich werde ich am Samstag in Berlin zur Album-Release Party da sein. Welches ich übrigens für sehr gelungen halte. Gerade in der letzten Vonyc-Session mit Giuseppe (32) hatten er und Paule (40) gezeigt, was noch alles kommen wird. Viele Remixe, Club Mixe, so wie er es immer gemacht hat. Besonders gelungen finde ich "Lost in Berlin", wobei ich Wetten hätte abschließen sollen, dass er das Berlin-Thema aufgreifen wird, und "Wonderful Day". Wenn ich jedoch lese, was in Amerika schon wieder "exclusive" veröffentlicht wird, beginnt meine Schläfe erneut an zu pochen. Sollte man mit dem Alter nicht gelassener werden? So langsam habe ich den Eindruck, dass mit meinem Geburtsjahr etwas nicht stimmt. Komme ich doch vom Briefträger? Ist es denn nicht ein Maßstab für das Alter? Gelassenheit? Ruhe? Warum steigt dann bei mir vor so einem Event immer noch die innere Anspannung? Wozu wird eigentlich Spontanität gezählt? Hat es eher etwas mit Jugendlichkeit zu schaffen? Ich sollte das Gehirn vielleicht doch mal langsam ausschalten. Quasi den einfachen Ted machen. Nur, wo bekomme ich so schnell ein paar Kurze her? Und, viel wichtiger, reichen fünf? Das zählt doch sicherlich zum Jungsein? Einfach mal machen. Ich komme der Sache irgendwie nicht näher. Ich glaube, dass ich immer noch spontan bin, das ist das, was ich z.B. zur "Freiheit" zähle. Auch die Begeisterungsfähigkeit für solche Events ist immer noch da. Liegt es an der Grundhaltung? Um mal wieder Uli Hoeneß (60) zu zitieren:"Eure Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir." Wo er Recht hat, hat er Recht. Es scheint doch etwas dran zu sein, dass man so alt ist, wie man sich fühlt. Wenn aber meine Umwelt nimmermüde wird, mir weißzumachen, dass ich doch schon zu den Älteren gehöre?!? Wenn selbst reisi (22) sich als alternd betrachtet?
Gott sei Dank. Hauptbahnhof Dortmund.
Ich komme gegen 00:15 Uhr an der Westfalenhalle an und mache mich gleich auf den Weg zu Sven (47). Ich rausche an einem neuen Bereich vorbei und frage mich kurz, ob ich richtig bin. Kurz umgeschaut, jepp, ich bin im Empire. Oh man, die haben doch nicht etwa. Doch. Haben sie. I-Motion hat das Empire verkleinert und den Twenty Young Dome zusätzlich in die Halle verfrachtet. Man konnte es wohl absehen, dass die Besucherzahlen nicht gut werden würden. Alles über 25000 wäre gelogen. Sven (47) spielt selbstverständlich mit Vinyl. Ist er damit eigentlich nicht einer der ewig Gestrigen? Macht ihn das nicht automatisch zur "Früherwarallesbesser" Fraktion? Er spielt gewohnt groovig und lässig. Nach vermehrt verpatzten Übergängen, welche man nicht unbedingt merkt, fällt mir lustiger weise sein Interview im DJMag ein, in dem er sich über DJs auslässt und ihnen rät, doch bitte erst mal das Auflegen zu lernen:
"Sinkende Verkäufe zwingen den Producer auf die Bühne, um genug Geld zu verdienen, jede Menge DJs drängen in die Clubs. Und viele müssten das eigentlich erst einmal lernen."
Dafür entschädigen wie immer seine Trackauswahl und sein Gespür. Gleichzeitig fallen mir die guten Animationen auf. Besonders gefallen mir die Kassetten von TDK, BASF, Chrome, Scotch, wer kennt noch Scotch? Oh, da fällt mir gerade ein, ich darf nicht zu Retro werden, sonst verfalle ich dem "Früherwarallesbesser". Aufpassen Mario (33). Das wird gerne mal verwechselt. Es folgt Carl (49). Er macht da weiter, wo Sven aufgehört hat, jedoch etwas schneller. Er legt mit seinem Alter immer noch solch einen Elan an den Tag, dass ich ihm immer wieder meinen Respekt aussprechen möchte. Sicherlich sind die "Three Deck Wizard" Zeiten vorbei, jedoch zeigt er mal kurz sein Können und bietet eine kleine aber feine Scratch-Einlage. Es macht einfach Spaß, ihn zu zusehen und zu zuhören. Auch seine Stimme. So lässt er es sich nicht nehmen und begrüßt die Members mit einem euphorischem:"Oh yes, oh yes Maaaydaaay!" Find ich gut. Bei Carl fällt mir der gute Klang auf. Man hat es also mal endlich geschafft, alles vernünftig einzustellen. Doch zurück zu Carl (49). Ich erinnere mich an eine Maydayübertragung auf Viva. Da trug er mit stolz ein Mayday-Artist-Longsleeve. Die Zeiten sind lange vorbei. In denen ein Artist noch stolz war und es zeigte, dass er auf der Mayday auflegen durfte. Sei es als Shirt oder mit einem Aufkleber auf der CD "Official Mayday Artist". Waren das schöne Zeit…, oh, aufgepasst Mario (33).
Dies ist z.B. ein Aspekt, welcher der Mayday immer mehr abhandengekommen ist. Dieses Soulige, dieses Unique. Es ist einfach nur noch eine reine Werbeplattform, von der sich nur noch wenige Künstler abheben. Man geht hin, weil dort im Schnitt 25000x Zielgruppe rumläuft. Da sind Carl und Sven schon die wenigen Ausnahmen. Ich glaube sogar, dass sich eine Trendwende in unserer Szene bzgl. Großveranstaltungen abzeichnet. Doch dazu später mehr.
Mehr und mehr rege ich mich über den Twenty Young Dome auf. Man hört nämlich ab und zu Musikfetzen aus der Richtung kommen, was für mich eine absolutes "No-Go" bedeutet. Bei Sven (47) war es besonders schlimm. Je mehr ich mich darüber aufrege, desto mehr stelle ich fest, dass der Dome so nicht Not getan hätte. Genlog (47 und 44) hätte man spaßeshalber auch in die Arena packen können. Zwischenzeitlich gesellen sich direkt vor mir drei Muskelpakete inkl. Freundinnen. Selbstverständlich blond und mit Rock. Sie legen eine kleine Fotosession ein, was mich dazu veranlasst, entnervt die Toilette aufzusuchen. Meine Güte, wenn das die Jugend von heute ist: "Komm, lasst uns mal kurz auf die Tanzfläche gehen, posen und Fotos für Facebook machen." Es steht ein erneuter Kanzelwechsel an und der folgende DJ hat sich auch schon überschwänglich bei Carl (49) angemeldet. Man merkt ihre gemeinsame Freude an der Sache an und was noch viel wichtiger ist, ich nehme sie ihnen ab. Es betritt der Mann die Stage, der das Set des Abends abliefert. Sein Grinsen, seine Erscheinung, sein Stil, Chris Liebing (43). Gleich von Beginn an packt er die Leute und macht ihnen klar, was es geben wird. Techno. Seine Sets klingen wie aus einem Guss. Trotz der eher minimalistisch klingenden Musik entfaltet sich eine Energie über die Tanzfläche, die immer wieder für Jubelrufe sorgt. Überall ein Dauergrinsen a la Chris (43) in den Gesichtern und Freude über die herausgenommene Kick/Bassdrum und vor allem noch mehr Freude und Grinsen beim Reindrehen ihrer. Techno pur. Kompromisslos, roh, dreckig, einfach, leider geil. Ich bin leicht geschafft und schlendere nach seinem Set durch die Hallen. Dabei bleibe ich im Casino bei Dominik Eulberg (33) hängen. Ich erwische mich wieder beim Tanzen. Sein melodisch, deeper Stil zwingt einen auch dazu. Obwohl einige Übergänge vorgefertigt zu sein scheinen. Anders kann ich mir das komisch wirkende CD-Wechseln nicht erklären. Etwas ungelenk gehe ich weiter in Richtung Arena. Es prallt ein Sound auf meine Ohren, den ich nur von einer Person kenne Moguai (vermutlich >30). Er spielt klassischen Punx-Style, Dave (vermutlich >30) würde es als NuTrance bezeichnen. Die Lichtanlage finde ich sehr gelungen und das Herab- und Heraufziehen der Traversen erinnert mich irgendwie an die Raumschiffe von "Independence Day" und Co., wenn sie sich klar zum Gefecht machen. Ich merke, wie ich immer steifer und ungelenker werde. Ich glaube, es wird Zeit. Die Rückfahrt ist etwas deprimierend. Ich fühle mich ganz und gar nicht als "Member". Ich rieche nach Zigaretten und bin müde. Meinem Gefühl nach brauche ich zurück doppelt so lange. Glücklich und zufrieden drehe ich meinen Haustürschlüssel um, begrüße meinen grinsenden Nachbarn, er ahnt wohl, woher ich komme, und hechte nach dem Klicken des Türschlosses sofort unter die Dusche.
Wie komme ich nun darauf, dass sich eine Trendwende in den Veranstaltungen abzeichnet? Ich möchte es nicht dramatisieren, jedoch glaube ich, dass die rosigen Zeiten der Mayday und Co. in Deutschland vorbei sind. Letztes Jahr konnte man mit dem Geburtstag, dem starken Line-up und dem Dome punkten. Dies hatte zur Folge, dass viele Ältere sich noch mal aufraffen konnten. Dieses Jahr war das Line-up aus meiner Sicht in Ordnung. Warum jedoch weniger Besucher da waren, kann ich nicht genau erklären. EDM ist Alltag geworden. Überall wird elektronische Musik drunter gelegt. Sämtliche Rapper/R'n'Bler benutzen Sounds aus dem EDM-Bereich. Und entgegen Exhale2001's Meinung schadet es mehr als es nutzt. Was zur Folge haben wird, dass wir definitiv irgendwann Rapper und R'n'B-Sänger/innen auf solchen Veranstaltungen wie Mayday und Nature One sehen und hören werden müssen. Da mache ich I-Motion nicht mal einen Vorwurf. Das ist z.B. ein Punkt, warum ich die Überschrift gewählt habe. Man erwartet heute ein Rundumsorglospaket, man schaue sich das Line-up von der Tomorrowland oder dem SW4 an. Ausländische Veranstaltungsreihen zeigen dies schon seit längerem. Da wird der David Guetta (44) schon mal mit samt seinem Rapper eingeladen, dies neben Leuten wie Ben Klock (40) oder Ame (beide vermutlich Ende 30). Es wird über kurz oder lang keinen Weg an Leuten wie David (44), Tiesto (43) und Co. vorbeiführen. Ob man die Jungs jedoch finanzieren kann, ist fraglich. Wenn ich da an die Novy (42) Kolumne denke, in der er mal eben die Gage eines Avicii’s (22) ausplauderte. Ob das nun gut ist, muss jeder für sich selber entscheiden. EDM ist in seiner Gesamtheit im Pop angekommen. Dies sicherlich nicht ganz unschuldig durch die "HouseElectroDanceRapRnB" DJs.
Die Bedeutung, die die Mayday einmal hatte, hat sie einfach nicht mehr. Schon gar nicht mehr den Stellenwert. Was natürlich traurig ist. Von daher sage und schreibe ich es ganz laut und fett:
"Früher war es sehr wohl besser."
Ich beneide I-Motion dafür nicht. Schwere Zeiten stehen an. Da schaue ich mir doch noch mal Carl's (49) Mayday Set "The Raving Society" von 1994 an *schwelg*. Wie alt warst du da eigentlich reisi :D?