Hier handelt es sich um ein Thema, bei dem Frauen sagen werden "Interessiert mich nicht." und Männer, die bereits ihren Grundwehrdienst abgeleistet haben "Interessiert mich nicht mehr." Hier geht es um die faktisch in Deutschland bestehende Wehrungerechtigkeit.
Wie komme ich darauf? Wie einige wissen, wurde ich vor einiger Zeit vom Truppenarzt + Facharzt eines Bundeswehrkrankenhauses als dienstunfähig erklärt, woraufhin ein Dienstunfähigkeitsverfahren eingeleitet wurde. Dieses ist abgeschlossen, am 15.10. bin ich bei der Bundeswehr entlassen. Bis dahin bin ich beurlaubigt.
Gestern war ich zum letzten Mal in der Kaserne, um die letzten Dokumente wie Bahn-Card und Truppenausweis abzugeben und diverse Formalien zu klären. Als ich dann einen Blick auf meine Entlassungspapiere geworfen habe, hat mich der Schlag getroffen. Darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine endgültige Entscheidung über meine Verwendungsfähigkeit vom Kreiswehrersatzamt getroffen wird und ich gegebenenfalls noch einmal zu einer Untersuchung vorgeladen werde. Bis zur endgültigen Entscheidung unterliege ich der Wehrüberwachung.
Daraus entstehen zwei Konsequenzen. Zum Einen könnte der Musterungsarzt bei einer eventuellen erneuten Musterung meinen Tauglichkeitsgrad ändern und mich wieder verwendungsfähig einstufen, sodass ich wieder einberufen werden könnte. Da ich aber wie geschrieben ein fachärztliches Gutachten habe + Röntgenaufnahmen, halte ich dies für eher unwahrscheinlich. Vermutlich wird man bei mir nach Aktenlage prüfen und es beim Urteil des Facharztes belassen.
Zum Anderen, und das ist die weitaus fiesere Konsequenz, muss ich für das Kreiswehrersatzamt bis zur Aufhebung der Wehrüberwachung erreichbar sein. Ich darf nicht länger als acht Wochen von meinem Wohnsitz fernbleiben, für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt brauche ich eine Genehmigung.
Ich wollte meine wiedergewonnene Zeit in "Freiheit" für eine längere Reise nach Australien nutzen, um die Zeit bis zum Studium nächstes Jahr zu überbrücken. Um dieses Jahr noch wegzukommen, müsste ich auf der Stelle einen Flug buchen! Selbst wenn das Kreiswehrersatzamt einen Antrag genehmigen sollte, würde es noch zu lange dauern, bis die Entscheidung gefällt ist. Ich habe heute trotzdem einen abgeschickt. Was ich jetzt brauche, ist ein Wunder. Ich sehe meinen Traum bereits wie eine Blase zerplatzen.
In meiner rasenden Wut habe ich etwas über die Wehrpflicht in Deutschland recherchiert - und bin auf inakzeptable Tatsachen gestoßen. Liebe wehrpflichtige Männer, wir unterliegen einer willkürlichen und vor allem ungerechten Wehrpflicht!
Die Personalplanung der Bundeswehr sieht vor, dass pro Jahr nur 55.000 Grundwehrdienstleistende einberufen werden. Ein Jahrgang ist aber etwa 400.000 Männer stark! Wohin also mit dem Überschuss? Die einfache Antwort: Die Ausmusterungsquote wird erhöht. Vorsätzlich wird ein großer Teil eines Jahrganges als wehrdienstunfähig eingestuft, um das zur Verfügung stehende Personal soweit zu reduzieren, dass der Großteil davon auch wirklich zum Grundwehrdienst einberufen wird (scheinbare Gerechtigkeit). Der Clou: Die wenigsten wehrdienstunfähig Eingestuften sind wirklich wehrdienstunfähig!
Hier einige Fakten, die man beachten sollte:
- Seit 1. Oktober 2004 gibt es die Tauglichkeitsstufe T3 (mit Einschränkungen wehrdienstfähig) nicht mehr; Männer, die vorher T3 gemustert worden wären, werden seitdem automatisch T5 (wehrdienstunfähig) gestuft
- 2005 lag die Ausmusterungsquote bei astronomischen 31,4% - fast jeder dritte Mann wäre demnach gesundheitlich zum Grundwehrdienst nicht in der Lage! Sind wir ein Volk voller Krüppel - oder läuft hier einfach nur etwas furchtbar schief?
- Das Kölner Verwaltungsgericht hat die Wehrpflicht am 21. April 2004 als gesetzeswidrig erklärt mit der Begründung, dass die Wehrgerechtigkeit als oberster Grundsatz der deutschen Wehrpflichtarmee nicht mehr gewärleistet sei! Das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil kurz darauf wieder auf. Das Kölner Gericht hielt jedoch an seiner Entscheidung fest und legte den Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht in Köln vor. Das Urteil steht noch aus. Es ist also möglich, dass die Wehrungerechtigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ebenfalls festgestellt wird, was enorme Konsequenzen für die Wehrpflicht haben dürfte.
- Alle NATO-Staaten (ein Militärbündnis!) außer Deutschland haben bis 1990 die Wehrpflicht abgeschafft mit der Begründung, dass große Wehrpflichtarmeen aufgrund der sicherheitspolitisch entspannten Lage (Ende des Kalten Krieges) nicht mehr notwendig seien. Vielmehr müsse der Schwerpunkt auf eine gut ausgebildete Armee gelegt werden, die den Umgang mit dem modernen Waffengerät beherrscht. Wie sicherlich bekannt ist, besitzt selbst die USA keine Wehrpflicht!
- Hätte es den Kalten Krieg nicht gegeben, würde es mit fast 100%iger Sicherheit bis heute keine Wehrpflicht in Deutschland geben. Die Siegermächte hätten es niemals zugelassen, dass ein Land, das zwei Weltkriege angezettelt hat, so schnell wieder eine so große Armee stellt. Einzig der eigene Vorteil, einen bewaffneten Verbündeten gegen den jeweiligen Feind zu erhalten, veranlasste USA und Sowjetunion dazu, in BRD bzw. DDR die Wehrpflicht wieder einzuführen!
- Die Bedeutung, die den Zivildienstleistenden im Sozialwesen zukommt, hat den Verdacht hervorgerufen, dass der Wehrdienst in Deutschland nur noch deswegen aufrecht erhalten werde, um weiterhin den Einsatz von Zivildienstleistenden zu ermöglichen. Ungerecht ist es auch, dass wesentlich mehr junge Männer Zivildienst leisten müssen als Grundwehrdienst; nur 55.000 Grundwehrdienstleistenden pro Jahr stehen etwa 90.000-100.000 Zivildienstleistende gegenüber. Würde das Bundesamt für Zivildienstleistende (BAZ) dieselben Personalgrenzen wie die Bundeswehr setzen, würde die Wehrungerechtigkeit weiter verschärft.
- Summa summarum ergibt sich: Nur etwa jeder achte Mann eines Jahrgangs leistet Grundwehrdienst! Und ausgerechnet ich arme Sau musste darunter sein!
In was für einem bekloppten Staat leben wir eigentlich? Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr versuchen weiterhin verzweifelt, durch manipulierte Statistiken eine bestehende Wehrgerechtigkeit vorzutäuschen. Ich habe eine solche Statistik an den Beitrag angehängt, aber selbst mit Fälschungen (z.B. 35% KDVler pro Jahrgang sind absolut unrealistisch!) lässt sie nur einen Schluss zu: Gerecht ist hier nichts!
Mich machen diese Fakten stinksauer. Ein Zwangsdienst stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte eines Staatsbürgers dar. Grundsätzlich würde ich einen Zwangsdienst dennoch akzeptieren, wenn ihn jeder - also auch Frauen und eingeschränkt Wehrdienstfähige sowie Väter, Ehemänner, Drogenabhängige und sonstige Gruppen, die verschont bleiben ihn leisten müssten. Entweder alle - oder keiner! Die Willkür, der wir Männer zurzeit in diesem Staat ausgesetzt sind - es ist beinahe Zufall, ob man Grundwehrdienst leisten muss oder nicht - ist für mich nicht vertretbar und ist für mich, ganz ehrlich, ein (wenn auch nicht Ausschlag gebendes) Argument auszuwandern. Sollte ich später einmal einen Sohn haben, will ich nicht, dass er auch diesem Sch**** ausgesetzt ist.
Mein Meinung daher: Weg mit der Wehrpflicht, aber schnell!!!