N'Abend zusammen!
Nachdem das unter den Fittichen von Nick Warren stehende Progressive-Aushängeschild Hope Recordings vor kurzem das Jubiläum seiner insgesamt einhundertsten Veröffentlichung standesgemäß mit einer überzeugenden neuen Platte des Labelchefs persönlich feierte, wird für den Nachfolger nun wieder dem zu Recht aufstrebenden Nachwuchs das Vertrauen geschenkt. Als glücklichen Auserwählten hat es dabei einmal mehr den polnischen Produzenten Tomasz Szklarski alias Tom Glass getroffen, welcher bereits mehrfach mit sphärisch durchtränkten Tracks im weit fassenden Umfeld von Progressive House sein Können unter Beweis stellen durfte und Anfang des Jahres sogar ein empfehlenswertes Album („Simple Stories For Complicated People“) – leider weitgehend unter Ausschluss des Forumsinteresses – über den Äther schickte. Die nun seit einigen Tagen erhältliche Naive EP sollte dennoch keinesfalls als nachgereichte Singleveröffentlichung missinterpretiert werden, hat der Gute hierauf doch nicht nur zwei aus kosmischen und psychedelischen Progressive-Welten stammende, taufrische Stücke zusammengebracht, sondern in Dosem und Nick Warren zudem noch zwei überaus namhafte Remixer an Bord geholt, mit welchen sich die hiesige Trackzusammenstellung letztendlich als vielseitiges, rundes Ganzes an die hauseigenen Gehörgänge anschmiegt. Ergo: Lauscher aufgesperrt!
Naive als namensgebender Track der EP offenbart sich dann auch sogleich schon als leicht elegisch anmutendes Atmosphärenschmankerl, welches mich vor allen Dingen mit seiner kunstfertig austarierten Balance zwischen deep gehaltener Mystik im Untergrund und melodieflächigen Epikausflügen fasziniert. Zunächst liegt der Fokus jedoch auf ersterem Aspekt, wenn sich nach einem herrlich geheimniskrämerisch agierenden Intro voller dezenter Vorboten auf die kommenden Melodiestrukturen in Form von allerhand ineinander verwobener Tonfragmente, Effekt- und Vocaleinwürfe schließlich ein angenehm subtil groovendes Drumming etabliert. Insbesondere ein herbstlich-melancholisches Pianomelodiefragment fühlt sich dann im weiteren Verlauf von der Machart des Untergrunds in solchem Maße angezogen, dass es diesen mitsamt seiner Vorliebe für einen schimmernden Nachhall mehr und mehr mit sphärischen Stippvisiten beglückt, während parallel dazu in sporadischer Weise auch das Vocalfragment aus dem Intro die in dieser Phase noch recht deephousig wirkende Trackausstattung komplettiert. Mit jeder weiteren angedeuteten Flächenwelle peilt das Ganze allerdings deutlich zwingendere Gefilde an, sodass sich alsbald nicht nur leicht knarzig arrangierte Subbass-Einlagen und eine alternative Tonfolge etwas optimistischerer Natur, sondern auch düster verzerrte Flächenstücke anschicken, den progressiven Faden des Tracks hervorzuheben sowie die hiesige Intensität um einige Stufen nach oben zu hieven. Werden die Pianotöne zunehmend flächiger gestaltet, ist es nun auch nicht mehr weit bis zum Break, welches mit seinen flirrenden Tonbewegungen in Kooperation mit verträumten Pianotupfern zunächst noch einen Rückblick auf sommerliche Gestade zulässt, mit einer weiteren flächigen Alternativmelodielinie allerdings zunehmend melancholischer agiert und schließlich mit grummelnden Basslineattacken endet, ehe zusammen mit dem restlichen Untergrund schnell wieder die den Track bisher so auszeichnende Ausgewogenheit zwischen düsterer und hoffnungsvoller Momente gefunden wird. Da hierbei nun die komplette Melodiebelegschaft involviert ist, zeigt sich das Ganze zudem in eindrücklich sphärischer Stärke, bis auf der Zielgerade langsam aber sicher die epische Komponente wieder verabschiedet wird und die erstklassigen Pianotöne vom Beginn noch einmal das Zepter in die Hand nehmen. Abgeschossen von einer Bassline-Salve sollte das Erklimmen verdienter 5,75/6-Gipfel somit summa summarum für dieses alles andere als naive Stück nicht wirklich ein Problem darstellen…
Neben dem Original gebührt jedoch auch den beiden Überarbeitungen von Naive unbedingte Aufmerksamkeit, sind diese meines Erachtens im direkten Vergleich doch kaum minder überzeugend gelungen. Den weiten Weg aus Spanien hinter sich hat hierbei der Dosem Remix, welcher sich mit Vorliebe auf das verdichtete Melodiespektrum aus der zweiten Hälfte der Vorlage stürzt und dieses mit interessanten, leicht verdrehten Alternativtonfolgen konfrontiert, die bekannten melancholischen Charakterzüge allerdings gänzlich außen vorlässt, um ein deutlich sommerlicheres Ambiente heraufzubeschwören. Insgesamt gesehen wird das Geschehen desweiteren leicht in Richtung Techhouse verschoben, beinhaltet dabei aber immer noch genug progressive Stahlkraft, um nach der Einleitung durch einen nach vorn stierenden Untergrund alsbald mehr und mehr die ersten melodischen Raffinessen anzulocken. Dazu gehören nicht nur dem Original entlehnte sowie wunderbar beruhigende Deephouseflächen, sondern auch ein weiteres flächiges Alternativszenario, welches sich im weiteren Verlauf unverkennbar an die Spitze der melodischen Entwicklung setzt und insbesondere ab dem ersten Break sirrende Synthieschlangen angehängt bekommt, mit denen es sich im Anschluss noch sorgenbefreiter (wahlweise) schweben oder tanzen lässt. Mit leicht durchgeknallt arpeggierten Synthietönen ab dem zweiten Kurzbreak schlägt das Ganze dann sogar etwas über die Stränge, sollte sich deswegen aber keinesfalls grämen, sondern besser an der Vergabe gesunder 5/6 berauschen. Nick Warren’s Psychedelic Wheel Mix deutet im Anschluss bereits im Namen an, dass der gemeine Hörer es hier mit deutlich weniger überschwänglich agierenden Klangwelten zu tun bekommt. Nicht minder verwunderlich dürfte der Umstand anmuten, dass das Original nur noch in Nuancen zu erkennen ist und innerhalb der von Nick Warren noch einmal gründlich durchdachten Melodieebene zu Beginn eine arpeggierte Tonfolge den Rahmen vorgibt, welche auf den ersten Blick zwar einen leicht derangierten Eindruck macht, in Zusammenarbeit mit der alsbald initiierten, aber deutlich verlangsamten Originalbassline sowie entspannten Alternativflächen aber mehr und mehr zu einem einzigartigen Antriebselement des Ganzen mutiert. Davon fühlen sich im Weiteren auch einige zaghafte Andeutungen der bekannten Piano- und Flächenmelodielinien angezogen, können sich jedoch im dem zum Dickicht anwachsenden Effektdschungel mitsamt seinen Basseinwürfen nicht wirklich als prägend etablieren. Scheint es dabei zunächst so, als würde das Stück sich zunehmend sphärisch zurückgelehnten Gefilden nähern, platzt im Mittelteil schließlich eine interessante Retro-Acid-Bassline mitsamt technoidem Anhang in das bisherige Geschehen und verscharrt zunächst einmal jegliche melodische Unterstützung im Kellerverlies des Drummings. Erst als die dabei entstehende, psychedelische Note etwas zu dominant auftritt, rebelliert die Melodieebene und schickt nebst Flächenspitzen auch die arpeggierte Tonfolge vom Beginn wieder zurück an ihren Stammplatz. Dass sich bei dieser Kollaboration nun stetig interessante Kontraste auftun, versteht sich fast von selbst und lässt den progressiven und leicht durchdrogten Remix bis zur letzten Sekunde kaum etwas an Spannung verlieren. Alles in allem sicherlich eine polarisierende Überarbeitung von Nick Warren, die mich mit ihrer unkonventionellen Mischung jedoch zu überzeugen weiß und sich schlussendlich bis zur sagenumwobenen 5,5/6er-Marke aufschwingen darf.
Mit Mistakes könnte die hiesige EP zudem keinen besseren Abschlusstrack bekommen, führt dieser doch in gelungener Art und Weise alle Vorzüge der für Tom Glass charakteristischen Klangästhetik zusammen: Deep verwurzelter Untergrund, feinsinnig atmosphärische Melodieavancen und progressiv orientierter Spannungsbogen stets als feste Größen im Blick entwickelt sich auch hier schon nach wenigen Augenblicken eine herrlich fragil anmutende Stimmung, welche von einem düsteren Basswischer, einer entschieden nach vorn drückenden Kickdrum sowie knisternd und schimmernd arrangierten Melodietönen getragen wird. Sporadisch eingesetzte, nachtumwehte Begleitflächen und groovende Subbässe vervollständigen zunächst das Klangbild, welches trotz seines minimalistischen Charakters eine ungeheure Ausdrucksstärke zu entwickeln imstande ist. Liebhaber der detailverliebten Melodietöne vom Beginn kommen dann insbesondere im anschließenden Break auf ihre Kosten, ehe nach dieser Solofahrt zusammen mit dem Drumming die Abteilung Begleitflächen das Kommando in Sachen sphärischer Verdichtung in die Hand nimmt und das Stück peu à peu gen traumwandlerischer Momente lotst. Das Intermezzo einer trancig-stakkatierten Pendant-Tonfolge im Mittelteil währt dabei glücklicherweise nur kurz an und dient ausschließlich dazu, den bewährten Melodieelemente mittels einer kurzen Verschnaufpause genug Zeit zum Durchatmen zu gönnen, damit diese ihre galante Schwebefahrt auch im letzten Drittel noch einmal in erhabener Schönheit vorführen können. Ecken und Kanten wurden hierbei zwar sorgsam ausgespart, für 5,5/6 sollte es aber dennoch problemlos reichen, wie ich finde.
Greetz,
:: der hammer ::