N'Abend zusammen!
Nachdem der auch im hiesigen Forum nicht unbeliebte brasilianische Produzent Guilherme Boratto im letzten Jahr mit Take My Breath Away ein für meinen Geschmack hervorragendes zweites Album auf die Menschheit losgelassen hat, legt der gelernte Techno-Atmosphäriker nun mit einer weiteren EP auf seinem Kölner Lieblingslabel Kompakt nach. Darauf befinden sich neben dem bekannten, aber leicht veränderten Titelstück auch zwei neue Tracks, mit welchen der Gute einmal mehr seine Ausnahmestellung in Sachen vielfältiger elektronischer Musik, welcher vor allen Dingen konservative Genregrenzen ein Gräuel sind, unter Beweis stellt. Die Einflüsse reichen dabei von Minimal und Techhouse über trancige und progressive Gefilde bis weit in die Vergangenheit zu solchen Synthesizer-Ikonen wie Kraftwerk und Jean-Michel Jarre - wer seinen Tellerrand mal wieder erweitern möchte, ist bei Gui Boratto auf jeden Fall stets in den besten Händen!
Dass es bei dem auch auf dem letzten Album enthaltenen Azzurra auf dieser gleichnamigen EP um die It's Not The Same Version handelt, wird dem gemeinen Hörer allerdings erst deutlich, wenn sich zu den bekannten warmen Melodieklängen einige dezente Vocals gesellen, für welche der Brasilianer wieder einmal (wie bereits bei "No Turning Back" und "Beautiful Life") seine Ehefrau mit ins Studio geschleppt hat. Zunächst überwiegen allerdings entspannte Flächenklänge, welche nach einem kurzen Intro alsbald von einem groovenden Untergrund unterstützt werden, aus welchem besonders die von Boratto selbst eingespielte Bassgitarre hervorsticht und ein wunderbar organisch anmutendes Ambiente zu entfalten weiß. Hinter der nächsten Trackbiegung lauert jedoch bereits eine warmherzige Streichermelodie, welche die Bassline erst einmal in mundgerechte Stücke schneidet und mit ihrer unbeschwerten Art im Folgenden weitere Begleitmelodien aus ihrem Winterschlaf weckt, sodass der Track trotz der recht simpel erscheinenden Melodiestrukturen eine solche Wärme auszustrahlen vermag, dass sich bei der Hörerschaft auch bei Temperaturen weit unter Null ein zurückgelehntes Sommergefühl einstellen sollte. Setzt dann das akzentuierte Bassspiel wieder ein, kann sich das Ganze zudem erneut mit der gewissen Portion Druck schmücken und diese als Initialzündung für das subtile Herantasten der Vocals werten. Letztere verweigern zwar die große Bühne, sind aber auch in ihrer gemütlichen Nische im Hintergrund des Tracks dazu imstande, die entspannende Wirkung der Melodieelemente fortzuführen. Im Anschluss darf dann die Streichertonfolge auf Solopfaden noch einmal den Untergrund zerschneiden, ehe die Bassline sich wieder zunehmend verdichtet und zusammen mit weiteren alternativen Begleitmelodien sowie den dezenten Vocals die Spannungskurve ein letztes Mal nach oben führt. In Outro-Manier verabschiedet sich das Stück anschließend mit fragmentierten Melodietönen und mehr als verdienten 5,25/6.
Weniger optimistisch schaut die Gemütslage dann im Vergleich mit dem Vorgängertrack im Telecaster aus, welcher sich vor allen Dingen durch seine herrlich düsteren Melodieversatzstücke auszeichnet, durch die überaus intensive Atmosphärenschichten angesteuert werden. Diese entfalten bereits nach wenigen Momenten ihre Ausdruckskraft, wenn sich ein waberndes Offbeat-Grummeln irgendwo zwischen Bassline und Fläche etabliert und allein durch seine Präsenz eine intensiv aufwühlende Stimmung voller dunkler Fassaden zu entfalten weiß. Kristallieren sich im weiteren Verlauf dann die ersten erkennbaren Flächemelodietöne in verzerrter Optik aus diesem zwielichtigen Untergrund heraus, kann das Ganze in sphärischer Hinsicht sogar noch eine gute Schippe drauflegen. Das Drumming gibt sich derweil stets betont zurückhaltend sowie aufs Wesentliche reduziert, sodass keine nach Aufmerksamkeit heischenden Elemente von der im Folgenden nun durch erste Gitarrenklänge äußerst spannend begleiteten Melodieebene ablenken und die herrlich düstere Stimmung auflockern können. Denn auch im Wechsel mit der grummelnden Flächenmelodie aus dem Untergrund des Tracks und einem kurzzeitigen Drumming-Solo erzeugt das Stück genügend Reibung, um den Hörer stetig tiefer in seinen nebligen Krater voll schaurig-schöner Melodiestrukturen einzuführen. Dabei darf schlussendlich erneut die nicht minder hoffnungslose Tonfolge einer Kastenhalslaute nicht fehlen, welche in meinen Ohren einen mehr als gelungenen Schlusspunkt auf diesen Soundtrack zur Polarnacht setzt. Alles in allem haben wir es hier auf jeden Fall mit einem Gui Boratto in Bestform zu tun, welcher mir nicht unter 6/6 meine Gehörgänge verlässt.
Auch das abschließende The Glam bewegt sich in einem eher düster anmutenden Umfeld, schielt jedoch im Gegensatz zu seinem depressiv veranlagten Vorgänger wesentlich mehr in Richtung Tanzfläche und dürfte insgesamt zudem als inoffizieller Nachfolger des grandiosen Mr Decay vom ersten Album durchgehen. Herausragend agiert vor allen Dingen die hiesige Basslinewand, welche bereits im Intro ihre zwielichtige Ader nach außen kehrt und in Kooperation mit einem techhousig inspirierten Drumming früh die Zügel anschnallt, um dem Ganzen einen angenehm nach vorn ausgerichteten Groove zu vermitteln. Immer mehr in Richtung wabernder Strukturen mutierend ist sich der Untergrund alsbald auch einiger kraftvoller Subbässe sicher, welche ab nun immer mal wieder in berühmt-berüchtigt an- und abschwellender Manier die Spannungskurve bedienen, während im vorderen Bereich des Stücks einige Melodiefragmente für Abwechslung sorgen, im weiteren Verlauf allerdings wieder der omnipräsenten Basslinewand den Vortritt lassen. Diese Gelegenheit lässt sich jene natürlich nicht entgehen und grummelt sich allmählich wieder aus ihrem zwischenzeitlich etwas monotoner geratenen Schema, um ein weiteres Mal mit ihrer bedrohlichen Düsternis die sphärischen Muskeln spielen zu lassen, ehe im Anschluss noch einmal die druckvollen Melodiefragmente auf den Plan treten. Nach nur etwas mehr als 5 Minuten ist das eindringliche Stück dann zwar leider schon wieder Geschichte, meinen überzeugenden 5,5/6 tut das jedoch keinen Abbruch...
Greetz,
:: der hammer ::